Vor einigen Wochen, bei Systemarbeiten an meines Vaters Computer, fand ich einige Dokumente mit Namen wie „1.Kr.Tgb. 1914.doc“. Ich fragte meinen Vater und erfuhr, dass er mit Michael Münch, einem seiner Enkel, diese aus einem Tagebuch entnommen hatte, das mein Großvater während des Ersten Weltkriegs geschrieben hatte. Das Tagebuch war in Deutscher Sütterlinschrift geschrieben – für jemand der die Schrift nicht kennt eine Herausforderung beim Lesen. Zum hundertsten mal jähren sich Fortsetzung
Das Drama Weltkrieg 1 ist noch nicht vorbei …
… aber wir haben (noch) keine weiteren Briefe oder Tagebücher gefunden. Heinrich Birkenbihl hat mit mehreren Verletzungen den ersten Weltkrieg als einfacher Soldat überlebt. Er starb dann Anfang 1945 im Alter von 58 Jahren einen sinnlosen Tod in der Eifel — für einen bereits verlorenen Krieg — und wurde dort auf dem Soldatenfriedhof in Kelberg beerdigt. Ich habe ihn nie kennen gelernt.
Die Tagebücher und Briefe sind keine Literatur, sie spiegeln aber den täglichen Kampf mit Resignation, Sinnlosigkeit, Gefahr, Leiden und Langeweile wider und schon beim Lesen hat man das Gefühl, dass es kein Ende nehmen will. Seit Jan. 2014 habe ich in 100jährigem Abstand das veröffentlicht, was Heinrich Birkenbihl als Zeitzeuge und Betroffener geschrieben hat. Hier endet es.
Brief: Constantza, den 9. Februar 1917
….. Bin immer noch am alten Platz und gefällt mir auch sehr gut. Der Winter hält auch immer noch an. Es friert ganz anständig hier.
Nun bei Euch vielmehr in ganz Deutschland lässt der Winter diesmal aber auch nicht mit sich spaßen. Da heißt’s aber dem Ofen rote Backen gemacht. Damit ist’s hier bei mir ja auch kein Mangel. Wie sieht’s denn zuhause damit aus? Ist immer noch der Kohlemangel so stark? ……
Brief: Constantza, den 2. Februar 1917
Lichtmess hatten wir heute und bei uns ein wunderschöner Wintertag. Habe doch lange so keinen Winter mehr gesehen. Sonntag und Montag hatten wir Regen, Dienstag Frost und Glatteis, Mittwoch Schnee, der durchschnittlich 25 cm hoch liegt, Donnerstag Schneestürme und heute stiller Frost und klarer Sonnenschein. Durch die Meerestürme, die immer hier toben, ist der Schnee stellenweise wie weggefegt an anderen Stellen liegt er wieder meterhoch. Sitze immer noch hier in meiner gemütlichen Klause, hoffentlich noch lange!
Brief: Konstantza, den 29. Januar 1917
Abends, 10 Uhr
…… Zur Feier des Tages hatten wir uns 2kg Rindfleisch besorgt für 4 Lei (3 Mark) noch etwas Grünes, Zwiebel und Paprika (spanische Pfeffer) kam der ganze Schlorum 4 Lei und 60 Bani (3,48 Mark) also pro Mann 87 ch. Hab ich gestern Mittag 3 Stunden gekocht. Die Arbeit hat sich aber gelohnt, hatten ne schöne Boullion und ne schöne Portion Fleisch gestern Abend. Und heute Abend gabs die Suppe und jeder ein Stück gebraten, tip-toppe Soße dabei, 1/2 Laib Brot mußte dran glauben und noch en Becher Tee (Quetschebrüh), brauche mir uns die Nacht doch nicht krumm zu legen.
Und so bin ich erst eben mit meiner Arbeit fertig geworden habe noch Wasch eingeweicht gibts morgen Fortsetzung. Ja, das Fleisch wünschte ich, könntet Ihr zu Hause so haben das kg 1,50 Mark. Kartoffeln gibts allerdings hier keine, kosten bald soviel als das Fleisch, das kg 96-100 Pfennig, trotzdem es in Friedenszeiten soviel hier geben soll und auch fast der Haupternährungszweig ist. Jetzt sind die Bohnen hier vorherrschend. Geht man durch die Stadt, so sieht man in all den Speisewirtschaften für die Einheimischen, und deren gibt es hier nicht wenig, Bohnen und immer wieder Bohnen mit so ner braunen Brühe, das schmeckt aber denen wie Zucker. In Serbien, wie wir die 2 1/2 Tage dort waren gabs nur Schweinefleisch und hier nur Kuh und Hammel.
Unser Ufchen das brummt hier, daß es eine Lust ist. Da muß man schon in Hemdsärmeln arbeiten. Auch die Stiefel hab ich ausgeworfen, fehlen mir nur ein paar regelrechte Schluffen in unserem Vereinslokal. Will auch gleich mal mitteilen, wie ich die Nächte rumbringe. Elf, zwölf oder auch später, wie mich der Schlaf anfällt setz ich mich in Sessel neben den Ofen, ziehe die Stiefel aus, den Rock hab ich ja immer aus hier in der Bude und reiße dort mal das erste Kapitel herunter. Um zwei Uhr, wenn die nächste Postenablösung ist, wird dann die Decke gedreht und in die Falle gelegt ist dann so leicht keine Revision mehr zu befürchten. Schlafe dann bis morgens 7 – 1/2 8, ist allerdings kein ruhiger Schlaf. Stiefel stehen neben dem Bett, desgleichen Koppel mit Seitengewehr an einem Stuhl dort selbst auch der Rock, Gewehr geladen handgreiflich. Alles im Falle eines Falles. Meistens sind die Nächte ja sehr ruhig, dann und wann mal Hundegebell oder auch ab und zu mal ein Schuß. Ist doch Gold gegen voriges Jahr bei Verdun. Wenn ich an die Tage noch denke, könnte man jetzt noch eine Gänsehaut kriegen. Ja, da ist es hier doch schöner beim Landsturm, wenns nicht mehr schlimmer kommt, werden wir mit Gottes Hilfe den Krieg auch rumkriegen
Der Frost hat sich seit Sonntag Morgen umgedreht in Regen. Ist erst recht Sauerei. Solange der Dreck gefroren war, konnte man wenigstens oben drüber laufen. Tagtäglich kommen eben Einwohner wieder zurück. Meistens ärmeres Volk. Welch eine Sorte Menschen. Wenns gerade kein zu miserabeles Wetter ist, sieht man sie haufenweise an den Häusern kauern, oft mit dem allernotwendigsten nur bekleidet und kauen irgend eine Frucht oder stieren stumpfsinnig vor sich hin. Alles Balkanvölker.
Brief: Konstantza, den 24. Januar 1917
…… Wohl ist es nicht so heimisch und gemütlich als zu hause, doch darf ich auch so herzlich zufrieden sein. Ein weißgetünchtes Stübchen von 4 auf 5 1/2 m kantig dazu 3 m hoch. Man kommt auf der schmalen Seite zur Tür herein, rechts in der Ecke der Ofen, der eben Tag und Nacht nicht ausgeht. Links in der Mitte der Längsseite zwei Fenster, welche innen soqar vergittert sind, da vor im Innern der Tisch, woran ich eben schreibe. Dann links in der Ecke ein Kleiderschrank und rechts eine eiserne Bettstelle aber fein verziert, sogar orientalische Bilder an Kopf- und Fußseite und in dem Bett eine alte Strohmatratze, worauf eben einer meiner Kameraden liegt und schnarcht zum Gotterbarmen. Gegenüber der Tür noch ein innen vergittertes Fenster. Außerdem gehört noch zu unserem Mobiliar ein gepolsterter Lehnsessel und 4 gute Stühle, eine Lampe, ein alter Besen, kaputtene Dreckschüppe, alter Kochtopf, Holzeimer, abgeschnittene Rollmopsbüchse als Waschschüssel vervollständigen noch die Ausstattung. Das ist das Bild einer modern eingerichteten Wachstube im Feindesland. Und dies ist zur Zeit vorläufig mein Aufenthalt und fühle ich mich auch sehr wohl hier. Habe drei Mann bei mir, die hier nebenan abwechselnd Posten stehen bei einer Pumpstation. Bei Tage ist hier Betrieb steht dauernd die Straße voll Fuhrwerke mit Fässern, die hier Wasser holen. Auch so einzeln kommen die Zivilbewohner mit Eimern und holen Wasser, das hier aus einem Brunnen gepumpt wird und müssen auch oft stundenlang stehen bei der bitteren Kälte, um gegen Geld und gute Worte etwas Wasser zu bekommen. Die Einwohner müssen das Wasser bezahlen, Militär hats frei und ist das Geld für das Wasser dem Mann der die Pumpe bedient und nebenbei bemerkt ein Deutsch-Rumäne, ist seine Einnahme. Hier steht nun ein Posten, um die Ordnung aufrecht zu erhalten und Krambulage zu verhindern. Und ich sitze in meinem warmen Stübchen und gucke zum Fenster heraus. Diese ganze Geschichte wäre ja nicht nötig, aber die Rumänen oder Russen haben vor Verlassen der Stadt die Wasserleitung zerstört. und wird es auch noch einen Monat dauern, bis diese wieder funktioniert.
Konstantza, eine selbst nach europäischen Begriffen sehr schöne Hafenstadt, zählte in Friedenszeiten 50 000 Einwohner und jetzt sind nur mehr 2 500 hier, meistens arme Luders und Gesindel. Wie mir erzählt wurde, wurden die Leute mit den tollsten Sachen kopfscheu gemacht und gewissermaßen zur Flucht gezwungen. Die Deutschen würden die Kinder schlachten und die Alten müßten sie essen und was so Schauerromane mehr sind. Und was war das Resultat davon? Die Leute flüchteten alle und die Bulgaren kamen in die Stadt und hausten wie die Vandalen. An Menschen nicht, wohl aber an toten Gegenständen, denn man findet eben auch nicht ein Haus, das nicht vollständig ausgeplündert wär und alles demoliert. Wer nun in seiner Behausung geblieben ist, dem ist das eben nicht passiert. Sonst hat die Stadt ja wenig gelitten, hier und da ein Gebäude vernichtet oder ausgebrannt und dies ist meistens noch durch russische Kriegsschiffe geschehen, die zweimal nach Einnehme der Stadt dieselbe beschossen haben. Doch jetzt hört das wohl auf, seit wir hier am Strande schwere Küstenbatterien eingebaut haben. Das Leben nimmt eben ziemlich seinen normalen Verlauf. Zu kaufen ist wenig höchstens Brot, Fleisch und Eier. Die Lebensmittel sind alle von der Militärverwaltung beschlagnahmt und in Nummer Sicher nebracht. Wenn auch nicht grad so teuer wie zu Hause, so sind die einzelnen Artikel für die Verhältnisse doch teuer genug und werden noch jeden Tag teurer. Einen schönen Hafen hat die Stadt und muß hier im Frieden ein sehr reges Leben pulsiert haben. Zum Schutze der Stadt waren sie auch eben dabei, ein sehr modernes Forts zu errichten für verschiedene Millionen, sind aber dabei gestört worden. Die Bevölkerung der Stadt ist bunt gemischt, Rumänier, Bulgaren, Serben, Russen, Griechen, Türken, Armenier und noch allerhand verkommenes Gesindel war hier vertreten. Zwischen uns und den Bulgaren besteht auch kein guter Ton, sind zwar Kriegsverbündete, aber sonst verbündet uns auch rein garnichts, ist eben ein slawischer Volksstamm. Auch mit den Österreichern harmonieren wir nicht so prima, unsere mußten halt gar oft schon die Kastanien für die aus dem Feuer holen. Ich glaube, unser bester Verbündeter ist noch der Türke. Will ich zwar nicht behaupten, ist nur so meine Meinung, nach dem was ich gesehen und gehört.
Die Kälte hat etwas nachgelassen, ist zwar noch nicht am tauen, aber doch nicht mehr so schneident luftkalt, die Nasenlöcher sind einem ja fast zugefroren. Ist ja auch ganz überraschend gekommen, wie mir hier gesagt wurde. Zwei Tage zuvor war noch das herrlichste Wetter wie auch bei uns auf der Fahrt in Bulgarien und momentan schlug es um. Aber wunderbare Landschaften und Partien habe ich gesehen auf der Fahrt hierher. Das Balkangebirge ist einzig in seiner Art. Gigantische, wuchtige Gesteinsmassen krönten meistens die Gipfel dieser Berge in den verschiedensten Formen und Farben. Es sah als aus, als ob hier übernatürliche Kräfte gewaltet und ganz andere Geschlechter gehaust hätten. Wie herrlich muß dies alles im Sommer erst sein……