Aus dem Feldlazarett, Landau, den 5.9.1914

Gestern noch auf stolzen Rossen, heute durch die Brust geschossen – so heißts bekanntlich in dem Lied. So hats auch uns gegangen. Des einen Tags noch gesund und munter, dass man die Welt hätte aus den Angeln hätte heben mögen, und ein paar Stunden weiter liegt man auf der Erde wie ein Häufchen Elend.

Obwohl es mir kolossale Schwierigkeiten macht, will ich Euch doch nicht im Ungewissen lassen und über alles aufklären. Sitze im Bette, auf den Beinen ein großes Buch, auf dem der Briefbogen liegt. Habe den rechten Arm mit dem Handgelenk in der gesunden linken Hand liegen und fahr so mit der Hand immer zum Schreiben vor- und rückwärts. Die rechte Hand ist ja auch gesund, nur das Ellbogengelenk, da haperts.

Nach mancherlei Entbehrungen, Märschen und Strapazen, was ich jetzt nicht alles einzeln anführen will, rückten wir am Dienstag den 25.8. morgens 6 Uhr in unser erstes Gefecht, welches für mich und wohl die meisten von uns vorläufig das letzte ward, denn schon kurz nach 8 Uhr war ich schwer verwundet. Wir rückten ins Gefecht erst über weites Feld und durch ein Walddickicht, wo man fast nicht durch konnte ohne feindliches Feuer. Erst am Waldrand bekamen wir Feuer von französischer Infanterie. Aber das hatte keine Not, denn die schießen so schlecht, sollten sich besser das Lehrgeld wiedergeben lassen. Also gings durch, immer vor. Wir lagen in der Schützenlinie, aßen weiße Rüben frisch vom Acker, denn hatten lange nichts mehr unter die Zähne gekriegt und machten unsere Witze. Die Franzosen konnten sich nicht halten in unserem Feuer, hatten kolossale Verluste und gingen unaufhaltsam zurück. Wir immer feste hinten drauf. Auf einmal änderte sich das Spiel, denn plötzlich bekamen wir französisches Artilleriefeuer von drei Seiten und unsere Artillerie war zu schwach, vollständig ohnmächtig dagegen. Es regnete förmlich Schrapnells auf uns. Es sind dies Artilleriegeschosse, welche hauptsächlich auf Infanterie angewendet werden. Die Geschosse sind gefüllt mit lauter kleinen Kugeln von Blei oder Kupfer, explodieren über den Köpfen und fliegen dann strahlenförmig auseinander. Wer im Bereich von so einem Geschoßfeuer ist, kann sich mit unserem Herrgott schon ins Reine setzen; dann ist Zeit. Also wie gesagt, als wir Artilleriefeuer bekamen liefen wir immer Zick-zack möglichst den Geschossen aus dem Weg. Wir waren schon ziemlich nahe an der feindlichen Stellung ran. Ich lief momentan ganz allein, bis auf 10 Meter links und rechts war keiner. Da kam ich grad in eine volle Schrapnellladung rin. Ich glaubte, es hätte mit jemand den rechten Arm abgehauen am Ellbogen. Das Gewehr flog aus der Hand und ich um wie ein nasser Sack. Jetzt merkte ich, dass ich in der rechten Hüfte auch einen Schuß hatte und Schmerzen dort im Arm wie rasend. Ich hab gejammert wie ein Hund.

Nun hab ich mir meinen Tornister mal vom Rücken geschafft und mich längs hingestreckt, den Kopf auf dem Tornister. Zu allem Glück hatte ich ne Feldflasche voll Rotwein bei mir, welche mir den Tag über sehr von statten kam. Später machte ich mir die Zeltbahn und Mantel mit der linken Hand überm Kopf her los, legte mir die Zeltbahn über die verwundete rechte Körperhälfte, dass die Sonne nicht so auf die Wunden brennen konnte, und deckte mich mit dem Mantel zu. Das Koppel konnte ich nicht aufmachen mit einer Hand und so schnitt ich es denn mit der größten Anstrengung durch. So lag ich denn da, hilflos und verlassen, annähernd 13 Stunden unter jämmerlichen Schmerzen im stärksten feindlichen Feuer; jeden Augenblick dachte ich jetzt ists aus, aber es hat doch noch gut gegangen, Unkraut vergeht eben nicht.

Abends habe ich dann vorüberkommenden Patrouillen gute Worte gegeben, dass sie mich mitgenommen haben. Die packten mich in die Zeltbahn und schleppten mich fort zum Verbandsplatz, der eine Stunde entfernt war. Und was ich da ausgehalten hab und die nächsten Tage, wo wir mit dem Leiterwagen von einem Ort zum andern gefahren wurden, das geht auf keine Kuhhaut drauf. Habe zwei Schuß im rechten Armgelenk und einen Schuß in der rechten Hüfte. Ein Schuß schlug mir den rechten Stiefel unten in den Falten durch, Fuß blieb unverletzt und ein Schuß schlug mir die Scheide vom Seitengewehr durch. Jetzt sind wir wieder mobil.

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